Ein Sonntags-Besuch

Gestern besuchten mein Liebster und ich seinen alten Kumpel Erwin Meier, den ich noch nicht kannte. Erwin Meier ist Mitte siebzig, schwul und lebt in einer Seniorenanlage mitten in St. Pauli, so viel wusste ich.

Erwin öffnete die Tür. Er trug einen schwarzen Bademantel, darunter ein rotes T-Shirt mit schwarzem Blumenmuster. Irgendwie war ich erst mal doch über sein Alter erstaunt, in meiner Vorstellung waren Schwule immer junge Männer.

Meinen Liebsten drückte er herzlich, mir gab er freundlich die Hand und bat uns sodann auf seinem Balkon Platz zu nehmen. Erwin stellte schon mal klar, dass er uns später fotografieren würde.

Die Frage nach Kaffee, die ich bejahte, bereute ich sofort, als ich Erwin´s schmuddelige Tasse auf dem Balkontischchen bemerkte. Während Erwin in der kleinen Küche herum werkelte, bewunderte ich die Plastikblumen und bunten Windspiele, die seinen Balkon schmückten.

Erwin kam mit zwei Thermobechern mit Kaffee zurück. Er verkündete, dass er extra diese Becher gewählt hätte, damit wir länger bleiben würden.

Die Instant-Brühe in den ebenso schmuddeligen Bechern schmeckte furchtbar, und ich überlegte kurz, die Soße in einem unbeobachteten Moment über die Balkonbrüstung zu kippen, was sich leider nicht ergab.

Erwin setzte sich zu uns, sprang aber gleich wieder auf, um sich eine Hose anzuziehen, damit Missy, die Hündin, die wir ab und zu sitten, nicht zu viel an seinen Eiern herumschnüffelte.

Erwin, nun mit seinem roten T-Shirt mit schwarzem Blumendruck auf dem wohlgenährten Bauch und schwarzer kurzer Hose über den gebräunten Beinen, sagte: „Mona, du hast aber auch einen anstrengenden Beruf.“ Ich war ganz glücklich, weil ich dachte, dass mein Liebster seinem Kumpel schon so viel von mir und meiner Arbeit als Erzieherin erzählt hatte. Erwin: „So als Schönheitskönigin hast du ja bestimmt jede Menge Termine!“

Ich stöhnte, dass die Reiserei und die vielen Termine mit den Promis wirklich ganz schön anstrengend seien, ich bin ja schließlich auch nicht mehr die Jüngste.

Da fiel Erwin ein, dass er demnächst nach Ägypten reisen wolle. Erwin hatte sich gerade von seinem Verlobten getrennt und käme allein auch wunderbar zurecht. Aber im Urlaub wäre es doch schön, wenn man jemanden mal in die Seite knuffen und sagen könnte: „Schatzi, ist es nicht schön hier!?“ Erwin wollte sich das mit dem Ex-Verlobten vielleicht doch noch mal überlegen.

Wir sprachen noch ein wenig über dies und das und Erwin erzählte noch einen Witz, den ich nicht verstand. Ich erzählte auch noch einen Witz, den jeder versteht. Erwin lachte und sagte: „Mona, schade, dass wir uns so selten sehen!“

Mein Liebster, Missy und ich wollten nun mal langsam wieder los, noch ein bisschen Gassi gehen, Planten und Blomen vielleicht, aber es mussten ja noch die Fotos gemacht werden.

Erwin Meier kramte seine alte Digitalkamera raus und drapierte meinen Liebsten und mich Ohr an Ohr auf einen Hocker auf seinem Platikblumen-Balkon.

Nach dem üblichen, sag mal Spaghetti, bitte recht freundlich und so weiter, wollte sich Erwin Meier noch ein wenig hinlegen, weil er in der Nacht nicht gut geschlafen hatte. Danach dann die Fotos ausdrucken und uns diese per Post zuschicken.

Beim Abschied drückte Erwin nun auch mich. Ich bin gespannt auf die Fotos und schade, dass ich nicht auch ein Foto von Erwin Meier gemacht habe, aber man sieht sich ja immer zwei Mal.

© Gunda Choinka, 2019